Lübeck (dpl) – Josef Cramer (53) fühlt sich einsam. Der tief
gläubige Zeuge Jehovas geht seit Jahren jeden Morgen los und versucht unter
Strapazen, den Bürgerinnen und Bürgern seiner Stadt wichtige Hinweise über
seinen Glauben näher zu bringen. Dabei scheut Cramer keine Widrigkeiten – egal
ob Regen, Schnee, Hagel oder Schützenfest, immer dreht der wackere
Laienprediger seine Runden.
Dass viele Leute kein Interesse daran haben, mit ihm
zu reden, ist für ihn dabei kein Problem. „Naja, viele sagen mir, sie hätten
schon einen Gott und wären mit ihm ganz zu frieden. Das ist ja an sich ganz
schön.“, so Cramer zum Postillama. Er möchte ja schließlich keinem was
aufschwatzen, wie es Mobilfunkanbieter machen.
Nein, vielmehr möchte er den Menschen eine Möglichkeit
bieten, über etwas sehr wichtiges und essentielles in vieler Leute Leben zu
reden. „Oft ist es ja so, dass Menschen gar keinen mehr zum Reden haben. Nur
noch über Oberflächlichkeiten. Da ist es doch schön, wenn mal jemand auf einen
zu geht, oder nicht?“
Und genau das betrübt Josef Cramer (54 – Herzlichen
Glückwunsch!): An seinen freien Tagen sitzt er meist pausenlos in seinem Sessel
und wartet darauf, dass die Türglocke sich endlich meldet. Doch niemand kommt
vorbei und versucht, Herrn Cramer die Vorteile des Katholizismus, Islam, Judentum,
Buddhismus oder Sozialismus darzulegen. Nicht einmal ein Abo für den örtlichen
Zoo möchte man an Cramers Tür an den Mann bringen.
Traurig sitzt der tapfere Mann vor dem Postillama-Redakteur
und blickt ihn mit wässrigen Augen an: „Wissen Sie, ich gebe mir Mühe. Viel.
Aber ich frage mich: Was stimmt mit dieser Welt nicht, dass sich denn niemand
sonst kümmert? Noch nicht ein einziges Mal in 31 Jahren, die ich das schon
mache…“. Erst, als der Redakteur versprach, diesen Artikel zu verfassen,
verlies Herr Cramer dessen Wohnung wieder und gab sein Wort, die nächsten
Sonntage nicht wieder um 6:00 zu klingeln.
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